1 Jahr nach Hanau

Wir stehen heute gemeinsam hier, am 19. Februar 2021, dem Jahrestag des rassistischen Anschlags von Hanau, um der Opfer zu gedenken. Wir stehen an der Seite derjenigen, die Überlebten, und fühlen mit denen, deren Leben von jetzt auf gleich eine tragische Veränderung erfuhr.

Wir trauern um:

Ferhat Unvar,
Hamza Kurtović,
Said Nesar Hashemi,
Vili Viorel Păun,
Mercedes Kierpacz,
Kaloyan Velkov,
Fatih Saraçoğlu,
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin

Wir stehen aber auch hier, weil wir wütend sind, wir sind aufgebracht und wollen schreien! Die Angehörigen und Freunde der Ermordeten haben in einer über einstündigen Anklage die „Kette des behördlichen Versagens“ vor, während und nach dem Anschlag detailliert geschildert. Hier legen sie dar, wieso es nie zu dem Anschlag hätte kommen dürfen, warum der Täter nie in den legalen Besitz von Waffen hätte gelangen dürfen und dass vorherige Warnzeichen und sogar Hinweise während der Tat nicht ernst genommen wurden. Sie klagen an, dass der polizeiliche Notruf in der Tatnacht nicht erreichbar war, dass der behördliche Umgang mit den Angehörigen, die viel zu spät über den Tod ihrer Kinder oder Verwandten informiert wurden, durch Ignoranz und institutionellen Rassimus geprägt war und dass ihnen die Möglichkeit genommen wurde, sich würdevoll von ihren Liebsten zu verabschieden.

Dieser kraftvollen Anklage wollen wir uns anschließen und uns solidarisch mit dieser mutigen Aktion zeigen. Wir beklagen gemeinsam die Toten und klagen die Umstände an, die zu ihrer Tötung geführt haben.

Wir fordern, dass Rassismus als die Gefahr anerkannt wird, die er ist. Wir haben es satt, wieder und wieder die aus rassistischen Motiven Ermordeten an dieser Stelle betrauern zu müssen, während staatliche Behörden weiterhin das Lied von der Extremismustheorie singen.

An die, die hier vorrübergehen. Ja, wir stellen uns euch hier in den Weg, wie jedes Mal an solchen Trauertagen, damit ihr hinschaut und vielleicht erkennt, dass auch ihr es seid, die diese Gesellschaft formen und auf dass ihr hört, was die Angehörigen der Ermordeten zu sagen haben. Ihre Analysen und Zeugnisse machen deutlich, dass sie nicht allein mit rechten „Einzelätern“ konfrontiert sind, sondern dass ihnen aus Behörden und Polizei oftmals ein institutioneller Rassimus entgegenschlägt und dass die vermeintlichen „Einzeltäter“ ihre Ideologie auch aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft ziehen und von dieser legitimiert werden.

Doch die Toten von Hanau dürfen nicht umsonst gestorben sein, und die Angehörigen und die solidarischen Menschen mit ihnen werden keine Ruhe geben. Die Konsequenz aus Hanau sowie aus dem NSU-Komplex, aus Lohfelden, aus Mölln, Dessau und vielen anderen Orten lautet: Faschismus und struktureller Rassismus müssen konsequent bekämpft werden; es darf keinen Handshake mit Faschisten geben; Antifaschismus ist kein Hobby von Jugendlichen, sondern notwendig.

Doch wo bleiben die Konsequenzen? Wo sind die strukturellen Änderungen? Ja, der Bundespräsident wird nach Hanau kommen und ja, die Presse hat und wird breit berichten. Aber die Neonazi-Szene bewaffnet sich fortlaufend, der Verfassungsschutz wird aus- statt abgebaut und politische Parteien diskutieren ernsthaft über ein Verbot der „Antifa“. Wie zuvor im NSU-Komplex, so wurden auch in Hanau die Opfer von der Polizei wie Täter behandelt, da sie als „Gefährder“ angesprochen wurden, als sie auf das gefährliche Verhalten des Vaters des Täters aufmerksam machten. Weder ist die Tat von Hanau aufgeklärt noch sind die Umstände, die sie ermöglicht haben, aufgehoben.

Aus all diesen Gründen stehen wir hier und fordern mit den Überlebenden und Hinterbliebenen der Opfer von Hanau die vollständige Aufkläung der Tatumstände, dass ihnen zugehört wird, ihnen mit Respekt in ihrer Trauer begegnet wird. Wir fordern mehr als warme Worte, wir fordern Konsequenzen!