Kundgebung gegen den antisemitischen Terror – 09.10.2019

Der heutige Tag und die Ereignisse in Halle zeigen einmal mehr, wie real die eliminatorische Gefahr des Antisemitismus und Rassismus in Deutschland ist. Die Generalbundesanwaltschaft hält bei einem oder mehreren Tatverdächtigen ein extrem rechtes Tatmotiv für sehr wahrscheinlich. Damit stellt die extrem rechte Szene und ihr wachsender Unterstützungskreis ihre menschenverachtende Handlungsbereitschaft und -fähigkeit erneut unter Beweis.


Rechter Terror in Deutschland hat Konjunktur und Kontinuität. Franco A., Hannibal, Revolution Chemnitz, Gruppe Freital, OSS, NSU, Wehrsportgruppe Hoffmann sind nur einige dieser Namen die von der tödlichen, rassistischen Ideologie Kunde tun. Rostock, Hoyerswerda, Solingen, Mölln, München, Freital, Heidenau, Chemnitz sind nur die Spitze des braunen Eisberges der täglich Menschen in Angst und Schrecken versetzt.
Der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) ist durch eine langjährige rassistische Mordserie bekannt geworden. Seine Kernmitglieder kamen aus Jena, hier wurden sie sozialisiert, von hier gingen sie in den Untergrund.
Selbstverständlich war der NSU auch antisemitisch. Das lässt bereits die Selbstbezeichnung vermuten, die unmissverständlich an den Nationalsozialismus und dessen antisemitische Ideologie anknüpft. Angesichts dieses offensichtlichen Zusammenhangs ist auffällig, dass sich bisher nur wenige intensiver mit dem antisemitischen Weltbild und den antisemitischen Taten des NSU auseinandergesetzt haben. Auch der geendete NSU-Prozess in München vertiefte diese ideologische Verbindung nicht. Mit ihrer Festlegung auf die »Triothese« hat die Bundesanwaltschaft von Anfang an die Aufklärung der ideologischen Hintergründe des neonazistischen Netzwerks und seines gesamtgesellschaftlichen Kontexts blockiert.
Dabei müsste es eigentlich für eine demokratische Gesellschaft von großem Interesse sein, zu verstehen, wie eine rassistische Mordserie von der Mehrheitsgesellschaft so lange unentdeckt bleiben konnte, welche gesellschaftlichen und politischen Strukturen einen Nährboden für neonazistische Ideologien bieten, und schließlich auch, wie Rassismus und Antisemitismus miteinander zusammenhängen.
Im Folgenden soll zunächst eine Chronologie antisemitischer Taten des NSU aufgezeigt werden. ….
Soweit bekannt, hat der NSU keine Morde an Jüd*innen verübt. Die folgende Übersicht deutet an, welche Rolle der Antisemitismus für das Weltbild des Neonazinetzwerks NSU gespielt hat und in welchem Zusammenhang dieser mit den rassistischen Morden steht. Das neonazistische Umfeld um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Jena, Rudolstadt und Saalfeld fällt spätestens seit den frühen 1990er Jahren immer wieder durch Holocaustleugnung und -relativierung sowie durch Provokationen in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, das Stören von Gedenkfeiern und die Schändung von Friedhöfen auf. Ein Beispiel ist der Anschlag auf die Jüdische Landesgemeinde Thüringen in Erfurt, bei dem Neonazis zwei Schweineköpfe auf das Gelände werfen. Am 9. November 1995 wird in Jena eine an einem Fernwärmerohr aufgehängte Puppe entdeckt, die mit einem gelben Stern markiert ist. 1996 hängt eine ähnliche, mit Bombenattrappen versehene Puppe auf einer Autobahnbrücke über der A4 …Beide Taten werden dem späteren NSU zugerechnet. 1996 erregen Mundlos und Böhnhardt Aufsehen, als sie in SA-ähnlichen Uniformen durch die KZ-Gedenkstätte Buchenwald laufen.
Nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 finden Ermittler*innen auf Festplatten der Untergetauchten »Feindlisten«. Neben »linken« politischen Gegner*innen, Moscheen, Kirchen, Gemeindezentren und Parteien findet sich auch eine Liste mit 233 jüdischen Einrichtungen. Im ausgebrannten Versteck wird ein umgestaltetes Monopolyspiel namens »Pogromly« gefunden, dessen Ziel es ist, möglichst viele Jüd*innen in Konzentrationslager zu bringen. Das Spiel wurde in der neonazistischen Szene verkauft, der Erlös trug zum Lebensunterhalt des Kerntrios bei. Beate Zschäpe soll im Mai 2000 (ein halbes Jahr vor dem ersten Mord des NSU) erkannt worden sein, als sie die Synagoge Rykestraße in Berlin Prenzlauer Berg ausspähte. Auch drei Sprengstoffanschläge auf einem jüdischen Friedhof an der Heerstraße in Berlin-Charlottenburg, die nie aufgeklärt worden sind, werden mit dem NSU in Verbindung gebracht.
Antisemitismus und Rassismus stehen in einem Zusammenhang miteinander, ideologisch wie strukturell, die Schüsse auf und vor der Synagoge, die geworfene Granate auf den nahegelegenen jüdischen Friedhof und letztlich die tödlichen Schüsse auf vermeintliche Migrant*innen machen diese Verschränkung sichtbar.
Wir sind daher heute hier zusammengekommen um zu zeigen, das wir an der Seite der Betroffenen und Hinterbliebenen stehen um der tödlichen Botschaft dieser Taten entgegenzuhalten: Wir stehen zusammen, ihr seid nicht alleine. Kein Schlussstrich unter den Kampf gegen die extreme Rechte und Rassismus.