Wir haben uns heute hier versammelt um Süleyman Taşköprü zu gedenken, der vor genau 18 Jahren, am 27. Juni 2001, durch den Nationalsozialistischen Untergrund (kurz: NSU) ermordet wurde. Süleyman Taşköprü wurde nur 31 Jahre alt, er lebte als Obst- und Gemüsehändler in Hamburg. Er ist das dritte der zehn bekannten Mordopfer des NSU, also jenem rechtsextremen Terrornetzwerk, das – wie die meisten von euch sicher wissen werden – seinen Ursprung hier in Jena nahm.
Süleyman Taşköprü stammte aus Westanatolien in der Türkei. Nach der Grundschulzeit folgte er seinen Eltern nach Deutschland, die schon zuvor hergekommen waren, um hier zu arbeiten und zu leben. Obwohl er gute schulische Leistungen vorweisen konnte und seine Lehrer ihn gerne in der Türkei weiter unterrichtet hätten, zog es ihn zu seinen Eltern und seinen drei Geschwistern nach Hamburg. Dort lernte er Deutsch, ging in Altona zur Schule, später auf die Höhere Handelsschule und wurde schließlich Lebensmittelhändler. Mit 28 Jahren gründete Süleyman mit seiner Frau eine eigene Familie und sie bekamen eine Tochter. Am Tag der Tat half er im Laden seines Vaters in der Schützenstraße in Hamburg-Bahrenfeld aus. Als er vom NSU aus rassistischen Gründen durch mehrere Schüsse ermordet wurde, war seine Tochter drei Jahre alt.
Auch bei diesem Mordfall verliefen die Polizeiermittlungen nach dem gleichen, bekannten Muster, das von institutionellen Rassismus zeugt: Die Ermittlungen richteten sich zuvorderst gegen die Familie Taşköprü, denen eine Nähe zur sogenannten Organisierten Kriminalität unterstellt wurde. Angeblich sollten Süleyman und seine Angehörigen Kontakte ins Hamburger Rotlichtmilieu haben.
Alle diese Ermittlungen und Unterstellungen blieben ergebnislos. Aber doch war in den Zeitungen zu lesen, dass die Familie Taşköprü angeblich Kontakte mit der Mafia pflegte. Ihr Ruf wurde so ruiniert. Die falschen Verdächtigungen der Polizei und deren unkritische Übernahme durch die Medien wirkten stigmatisierend. Viele Bekannte im Hamburger Viertel wendeten sich von den Hinterbliebenen ab und misstrauten den Angehörigen des Mordopferns. Die Familie musste sich immer weiter zurückziehen. Auch noch heute nehmen die Eltern von Süleyman nur noch sehr selten am gesellschaftlichen Leben teil und sie haben viele Freunde verloren.
Der Bruder von Süleyman, Osman Taşköprü, sagt dazu: „Wir wurden direkt am Tag des Tods meines Bruders auf dem Polizeipräsidium vernommen, auch später immer wieder. Manche Vernehmungen haben zehn Stunden gedauert. Das war für uns alle als Familie nicht leicht. Dein Bruder oder Sohn ist gestorben und du wirst als Verdächtiger oder Beschuldigter behandelt“. Auf eine Entschuldigung durch die Hamburger Polizei warten sie bis heute vergeblich.
Auch die Forderung der Familie nach einer würdigen und angemessenen Entschädigung blieb aus und die rot-grüne Regierung schweigt dazu. Zwar gab es in Hamburg eine Straßenumbenennung in Erinnerung an Taşköprü und wurde in der Schützenstraße ein Gedenkstein aufgestellt. Doch gibt es keinen echten Aufklärungswillen und sind die Hintergründe der Tat bis heute unaufgeklärt. Auf den Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ sagte Süleymans Bruder dazu: „Die lückenlose Aufklärung, die mir versprochen worden ist, ist bis heute nicht verwirklicht worden“ und er zählt weiter auf: „Politik, Verfassungsschutz, Polizei, Richter, Staatsanwälte – da müssen sich viele Sachen ändern, damit solche Sachen nicht mehr passieren“.
Ein wichtiger Schritt für die Aufklärung wäre die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gewesen. Doch tatsächlich ist Hamburg das einzige Bundesland, in dem der NSU mordete, und in dem kein Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde. Und das alles trotz einer rot-grünen Landesregierung. Genauso wenig gab es Konsequenzen aus den institutionell rassistischen Ermittlungen der Hamburger Polizei, obwohl sich das Landeskriminalamt Hamburg unter der Leitung von Felix Schwarz von Anfang an weigerte eine rassistischer Tatmotivation auch nur in Betracht zu ziehen. Tatsächlich gehörte Hamburger Polizisten zu den treibenden Kräften, die eine damals neu erstellte Operative Fallanalyse für die weiteren Ermittlungen zur Makulatur werden ließen und wieder zu den ergebnislosen Verdächtigen der Opfer zurückkehrten. Aussagen und Spuren, die auf einen rechten Hintergrund hätten schließen lassen können, wurden ignoriert. So gab der Vater von Süleyman, Ali Taşköprü, den Hinweis, dass er in der Schützenstraße zwei „deutsch aussehende Männer mit einer Tüte in der Hand“ gesehen hatte.
Aus dem NSU-Komplex zu lernen heißt deshalb für uns vor allem die Perspektive der Opfer und Betroffenen von rassistischen Gewalttaten in den Mittelpunkt zu stellen. Auch nach dem Ende des Prozesses gegen Beate Zschäpe und einige wenige Unterstützer ist der NSU-Komplex weder aufgeklärt noch aufgelöst, wie nicht nur der jüngste Mordfall an Walter Lübcke zeigt. In Hamburg hat die Initiative „Aufklärung des Tatort Schützenstraße“ zusammen mit der Familie Taşköprü die wichtigsten ungeklärten Fragen zusammengefasst:
– „Wie und von wem wurde Süleyman Taşköprü als Mordopfer ausgewählt?
– Welche Rolle und Aufgabe hatte die Hamburger Neonazi-Szene im NSU-Komplex und beim Mord an Süleyman Taşköprü?
– Warum unterließen Polizei und Staatsanwaltschaft bis 2011 die Verfolgung eines rassistischen Tatmotives?
– Welche geheimdienstlichen Ermittlungen unternahm das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz mit welchen Ergebnissen in Bezug auf den NSU und die Hamburger Neonaziszene?“
Wir schließen uns Osman Taşköprü an, wenn er sagt: „Für mich ist keine Aufklärung da. Es geht nicht nur um diese 4, 5 Personen, die vor Gericht sind“. Deshalb unterstützen wir hiermit die Forderungen der Familie: Auch in Hamburg muss ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet werden, wie er bislang von der rot-grünen Landesregierung verweigert wurde. Im Zuge dessen müssen auch die Akten des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz und die Verstrickungen in die Szene mit V-Personen offengelegt werden. Die Familie Taşköprüs muss für die institutionell rassistischen Ermittlungen und die erlittene Rufschädigung angemessen von der Stadt Hamburg rehabilitiert und entschädigt werden. Zukünftig müssen Polizei und Staatsanwaltschaft bei Gewaltverbrechen gegen Migrantinnen und People of Color von einem rassistischen Hintergrund ausgehen bis das Gegenteil bewiesen ist.
Wir sagen: Kein Schlussstrich unter den NSU-Komplex! Nicht in Jena, nicht in Hamburg und auch sonst nirgendwo.