Zum Gedenken an die Betroffenen des Sprengstoffanschlags in Nürnberg – kein Vergeben, kein Vergessen!

Jena, 25.06.2019

Es ist der 23. Juni 1999, heute vor 20 Jahren. In einer Gastwirtschaft eines aus der Türkei stammenden Menschen in Nürnberg eine Rohrbombe. Diese Rohrbombe wurde gebaut und platziert von den Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds.

Der Inhaber der Gastwirtschaft findet auf der Herrentoilette eine Taschenlampe. Ahnungslos probiert er diese anzuschalten und löst dabei die Explosion des Sprengsatzes aus, denn die Taschenlampe wurde zur Rohrbombe umgebaut. Der Wirt trägt Verletzungen davon, überlebt jedoch, da die Bombe fehlerhaft konstruiert und nicht vollständig detoniert ist. Noch Jahre später leidet er nach eigener Aussage unter Angstzuständen, ausgelöst durch dieses Attentat.

Da der Wirt der betroffenen Gastwirtschaft diese erst drei Monate zuvor übernommen hatte und seitdem nur türkischstämmige Menschen dort verkehrten, lässt sich schließen, dass das Kerntrio des NSU ortskennende Helfer gehabt haben muss. Die Ermittlungen zu diesem Anschlag wurden nach einem halben Jahr eingestellt, es wurde nie ermittelt, ob ein politischer Hintergrund existieren könnte. Der Wirt und sein Umfeld wurden verdächtigt. Hinweise, dass sich in der Zeit vor dem Anschlag ungewöhnlicherweise auch Deutsche unter den Gästen waren, wurden ignoriert. Erst 2013 im Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht konnte die Tat der Terrorzelle zugeordnet werden, nachdem ein Zeuge davon berichtete, das die Neonazis von einer „Taschenlampe“ in einem „Laden“ erzählten und das „Vorhaben“ nicht funktioniert habe. Bis dahin war der Fall der Öffentlichkeit nicht bekannt. Außerdem konnte der damals von der Explosion direkt getroffene Wirt der Gastwirtschaft 2013 auf einem Foto eine mutmaßliche Unterstützerinund Ehefrau eines weiteren angeklagten – und inzwischen verurteilten NSU-Unterstützers identizieren. Diese Frau, Susanne Eminger, hatte einer NSU-Terroristin mithilfe ihrer Ausweisdokumente und Kleidung dabei unterstützt, ihre wahre Identität zu verschleiern und sich Ermittlungen der Polizei zu entziehen, ebenso soll sie die Bombe in der nürnberger Gastwirtschaft deponiert haben. Weitere Unterstützung des Terrortrios ist größtenteils unaufgeklärt.

Und deshalb stehen wir heute hier und fordern erneut die vollständige Aufklärung des NSU- Komplexes. Verantwortliche aus der rechten Szene, dem Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden müssen zur Verantwortung gezogen werden. Wir rufen auf zur Solidarität mit den Hinterblieben und Betroffenen des NSU-Terrors. Dass diese Aufklärung bitter nötig ist, zeigen uns die Vorkommnisse der letzten Tage und Wochen. Zuerst wird Walther Lübcke, Regierungspräsident von Kassel, mutmaßlich von einem Rechtsextremisten ermordet. Der mutmaßliche Täter hatte Kontakt zur rechtsextremen Gruppe Combat18, welche zum rechtsextremen Netzwerk Blood and Honour gehört, welchem auch die Rechtsterroristen des NSU angehörten. Beide Gruppierungen sind in Deutschland verboten, arbeiten jedoch im Untergrund weiter. Nach dem Mord an Lübcke erhielten zahlreiche öffentliche Personen vermehrt Morddrohungen aus der rechten Szene. Sprechen wir es aus wie es ist: die Bundesrepublik Deutschland hat ein rechtsextremes Problem.

Dieses Problem konnte nur deshalb so groß werden, weil es jahrelang von Behörden, Politik und Zivilgesellschaft aktiv ignoriert wurde. Nun müssen Politik, Behörden und Zivilgesellschaft alles tun, um dieses Problem zu lösen, damit der rechte Terror nicht noch mehr Menschenleben kostet. Und dazu gehört eine vollständige Aufklärung, um alle Täter*innen und Unterstützer*innen der rechen Szene ausfindig zu machen. Nur so können Urteile gefällt und weitere Taten verhindert werden. Im Internet existieren schwarze Listen, erstellt von Neonazis, diese zeigen wer als nächstes sterben soll. Auf diesen Listen finden sich Namen und sogar Adressen. Allein das sollte Grund genug sein dem Rechtsruck entschieden entgegenzutreten.

Der Anschlag vor 20 Jahren in Nürnberg war eine Art Testversuch für den NSU. Was darauf folgte waren weitere Anschläge und Morde an türkisch-, kurdisch- und griechischstämmigen Menschen undeiner Polizistin. Alle Taten wurden aus rassistischer und nationalsozialistischer Motivation heraus begangen. All dies wird leider von einigen Menschen in der Öffentlichkeit ignoriert, wenn über die aktuellen Ereignisse gesprochen wird. Und diese Ignoranz stand und steht im Weg bei der Bekämpfung des rechten Terrors. Wir alle müssen aufhören zu ignorieren und anfangen zu handeln.
Deshalb stehen wir heute hier.

Wir stehen aber auch hier, um den Betroffenen des Anschlags in Nürnberg unseren Respekt und unsere Solidarität zu zeigen.

Ich bitte euch um einen Moment der Stille für die Betroffenen rechten Terrors.