Kein Vergessen – Kein Vergeben. Zum Gedenken an Abdurrahim Özüdoğru

Jena, 13.06.2019

Es ist der 13. Juni 2001, heute vor 18 Jahren. Abdurrahim Özüdoğru hat erst einen Teil seines Arbeitstages hinter sich. Eine Schicht arbeitet er als Maschinist in einer  Metallfirma, nach Schichtende verdient er sich mit seiner Näherei noch etwas dazu. Es wird der letzte Tag in seinem Leben sein.

Wahrscheinlich gegen 16:30 Uhr betreten Neonaziterroristen des Nationalsozialistischen Untergrundes sein Geschäft. Ein erster Schuss trifft Abdurrahim Özüdoğru von vorne ins Gesicht und durchschlägt seinen Kopf. Er sinkt zu Boden, den Oberkörper gegen eine Tür gelehnt. Der zweite Täter tritt an ihn heran und schießt ihn aus kurzer Entfernung in die rechte Schläfe. Die Mörder fotografieren den sterbenden Abdurrahim Özüdoğru. Das Foto taucht später in ihrem Bekennervideo auf, versehen mit einer zynischen Hassbotschaft. Gegen 21:25 Uhr wird der Leichnam von Abdurrahim Özüdoğru von einem Passanten entdeckt.

Die Polizei ermittelte zunächst, ob Abdurrahim Özüdoğru kriminell gewesen ist. Beamte durchsuchen seine Wohnung mit Drogenspürhunden – sie finden nichts. Denn genauso wie die anderen Ermordeten des NSU wurde Abdurrahim Özüdoğru aufgrund seiner Herkunft zum Ziel. Nach der Durchsuchung berichtete ein Beamter in einem polizeilichem Vermerk von Zitat „für Wohnungen von Türken nicht unüblichem Nippes“, den er vorgefunden habe.

Selbst im Verfahren vor dem Münchener Oberlandesgericht, als also der rassistische Hintergrund des Mordes an Abdurrahim Özüdoğru klar war, genauso wie Teile des unfassbaren Ausmaßes der anderen Verbrechen des NSU, fielen Polizeibeamte noch mit abfälligen und herabwürdigenden Äußerungen über Abdurrahim Özüdoğru und seine Lebensführung auf.

Der Mord an Abdurrahim Özüdoğru war einer von dreien in Nürnberg, dazu kommt ein Bombenattentat. Bayern, und insbesondere Franken waren ein Schwerpunkt der Aktivitäten des NSU. Es gab und gibt dorteine aktive Neonaziszene, in der das Kerntrio der Rechtsterroristen mit Sicherheit Helfer und Tippgeber gefunden hat.

Dieses Kerntrio sowie zwei weitere vor dem Münchener Oberlandesgericht verurteilte Helfer bewegten sich bereits 1995 in der Nürnberger Neonazi-Szene. Dort trafen sie führende fränkische Neonazis und diskutierten schon damals über Anschläge. Vieles spricht dafür, dass relevante Teile der damaligen radikalen fränkischen Nazi-Szene dem NSU-Netzwerk angehörten. Der NSU war kein Trio, er war ein Netzwerk mit vielen Helfern.

Zu viele dieser Helfer bleiben aber bis heute im Dunkeln, weil die Bundesrepublik Deutschland ihrem Versprechen einer lückenlosen Aufklärung des NSU-Komplexes nicht gerecht worden ist. Das Verfahren vor dem Münchener Oberlandesgericht soll stattdessen eine Art Schlussstrich ziehen unter monströse Verbrechen, mit denen
es keinen Abschluss geben kann.

Wir erneuern deswegen ein weiteres Mal unsere Forderung nach der Aufklärung des NSU-Komplexes. Verantwortliche aus der rechten Szene, dem Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden müssen zur Verantwortung gezogen werden. Wir rufen auf zur Solidarität mit den Hinterbliebenen und Betroffenen des NSU-Terrors.

Tülin Özüdoğru, die Tochter von Abdurrahim Özüdoğru hat 2013 im Rahmen einer Preisverleihung etwas bemerkenswertes erzählt. Sie hat davon gesprochen, dass sie in Deutschland geboren ist, dass es ihre Heimat ist, ja sogar, dass sie Deutschland liebt. Aber das Zeichen der Liebe, das sie sich umgekehrt von Deutschland ersehnt, hat sie noch immer nicht bekommen. Auch im Rahmen des Prozesses vor dem Münchener Oberlandesgericht hat sich Tülin Özüdoğru geäußert, Zitat, „Als Betroffene habe ich in diesen Punkten bisher leider nicht viel Hoffnung. Ich habe nicht den Eindruck, dass in den letzten drei Jahren seit Aufdeckung der NSU-Zelle irgendetwas wirklich vorangegangen ist. Ich glaube nicht mehr recht an die versprochene Aufklärung  aller Hintergründe und Umstände. Man hat die Opfer nicht geschützt. Es wurden schwere Fehler bei den Ermittlungen gemacht, aber ich kann sie bis heute nicht zuordnen. Ich sehe niemanden, der persönlich für diese Fehler geradestehen würde. […] Manchmal frage ich mich: Fehlt die Möglichkeit zur Aufklärung oder der Wille?“

Ich bitte euch um einen Moment der Stille für Abdurrahim Özüdoğru.