Gedenken 2025 Süleyman Taşköprü

Wir sind heute zusammengekommen, um Süleyman Taşköprü zu gedenken, der am 27. Juni 2001, heute vor 24 Jahren, durch RechtsterroristInnen des NSU in Hamburg ermordet wurde.

Es ist der 27. Juni 2001, heute vor 24 Jahren. Süleyman Taşköprü ist Obst- und Gemüsehändler in Hamburg tätig. An diesem Tag arbeitet er gemeinsam mit seinem Vater, Ali Taşköprü, seinen Lebensmittelladen in der Schützenstraße in Hamburg-Bahrenfeld. Es wird der letzte Tag seines Lebens sein. Gegen 11 Uhr lässt ihn sein Vater kurz alleine, um Besorgungen zu machen. Kurz darauf betreten Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds den Laden. Sie schießen Süleyman Taşköprü mit zwei Waffen drei Mal in den Kopf. Bevor sie fliehen, machen sie noch Bilder von ihm. Als Ali Taşköprü wenig später zurückkehrt, findet er seinen Sohn Süleyman schwer verwundet vor. Er stirbt in den Armen seines Vaters.
Süleyman Taşköprü stammt aus Suhut in Westanatolien in der Türkei. Nach der Grundschulzeit zieht er mit seiner Familie nach Hamburg. Dort lernt er Deutsch, geht in Altona zur Schule und später auf die Höhere Handelsschule. 1998 bekommen er und seine Frau eine Tochter. Drei Jahre später übernimmt er den Lebensmittelladen seines Bruders. Seine Pläne waren, im Nebengebäude ein Weinfachgeschäft zu eröffnen.
Als er vom NSU ermordet wird, ist seine Tochter nicht einmal drei Jahre alt.
Auch bei diesem Mordfall verfährt die Polizei nach dem gleichen von institutionellem Rassismus geprägten Muster, wie bei anderen Ermittlungsprozessen im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex: Die Ermittlungen richten sich zuerst gegen die Familie Taşköprü, der eine Nähe zur organisierten Kriminalität unterstellt wird. Angeblich sollen Süleyman und seine Angehörigen Kontakte ins Hamburger Rotlichtmilieu gepflegt haben. Alle diese Ermittlungen und Unterstellungen entsprechen nicht den Tatsachen und bleiben dementsprechend ergebnislos. Trotzdem war in diversen Zeitungen zu lesen, dass die Familie Taşköprü angeblich Kontakte mit der Mafia unterhielt. Die Folgen dieser falschen Verdächtigungen der Ermittlungsbehörden und deren unkritische Übernahme durch die Medien waren für die Familie ein ruinierter Ruf, Misstrauen und soziale Isolation. Viele Bekannte im Hamburger Viertel wandten sich ab und die Familie musste sich immer weiter zurückziehen. Sie haben viele Freund*innen verloren.
Der Bruder von Süleyman, Osman Taşköprü, sagt dazu:
„Wir wurden direkt am Tag des Tods meines Bruders auf dem Polizeipräsidium vernommen, auch später immer wieder. Manche Vernehmungen haben zehn Stunden gedauert.
Das war für uns alle als Familie nicht leicht. Dein Bruder oder Sohn ist gestorben und du wirst als Verdächtiger oder Beschuldigter behandelt“.
Auf eine Entschuldigung durch die Hamburger Polizei warten sie bis heute vergeblich. Auch die Forderung der Familie nach einer würdigen und angemessenen Entschädigung blieb aus. Die rot-grüne Landesregierung schwieg bis 2018 dazu.
Zwar gab es in Hamburg eine Straßenumbenennung in Erinnerung an Süleyman Taşköprü und es wurde in der Schützenstraße ein Gedenkstein aufgestellt. Jedoch gibt es bis heute keinen echten Aufklärungswillen, sodass die Hintergründe der Tat bis heute unaufgeklärt sind. Auf dem ersten Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ sagte Süleymans Bruder dazu: „Die lückenlose Aufklärung, die mir versprochen worden ist, ist bis heute nicht verwirklicht worden“, und er zählt weiter auf:
„Politik, Verfassungsschutz, Polizei, Richter, Staatsanwälte – da müssen sich viele Sachen ändern, damit solche Sachen nicht mehr passieren“.
Ein wichtiger Schritt für die Aufklärung wäre die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gewesen.

Tatsächlich ist Hamburg jedoch das einzige Bundesland, in dem der NSU mordete, und in dem kein Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde. Erst 2023, scheiterte ein erneuter Versuch. Genauso wenig gab es Konsequenzen zu den institutionell rassistischen Ermittlungen der Hamburger Polizei. Und das, obwohl sich das Landeskriminalamt Hamburg von Anfang an weigerte eine rassistische Tatmotivation auch nur in Betracht zu ziehen.
Aussagen und Spuren, die auf einen rechten Hintergrund hinwiesen, wurden ignoriert. So gab der Vater von Süleyman, Ali Taşköprü, den Hinweis, dass er unmittelbar nach der Tatzeit vor dem Tatort zwei, Zitat: „deutsch aussehende Männer mit einer Tüte in der Hand“ beim Weggehen gesehen hatte.
Aus dem NSU-Komplex zu lernen heißt deshalb für uns vor allem, die Perspektive der Betroffenen von rassistischen Gewalttaten in den Mittelpunkt zu stellen. Auch nach dem Ende des Prozesses gegen die TäterInnen und einige wenige Unterstützer*innen ist der NSU-Komplex weder vollständig aufgeklärt noch aufgelöst. Wir schließen uns Osman Taşköprü an, wenn er sagt: „Für mich ist keine Aufklärung da. Es geht nicht nur um diese 4, 5 Personen, die vor Gericht sind“.
Deshalb unterstützen wir hiermit die Forderungen der Familie: Auch in Hamburg muss ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet werden. In Zuge dessen müssen auch die Akten des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz und die Verstrickungen in die Szene mit V-Personen offengelegt werden. Die Familie Süleyman Taşköprüs muss für die institutionell rassistischen Ermittlungen und die erlittene Rufschädigung angemessen von der Stadt Hamburg rehabilitiert und entschädigt werden! Zukünftig müssen Polizei und Staatsanwaltschaft bei Gewaltverbrechen gegen Migrant*innen und People of Color von einem rassistischen Hintergrund ausgehen, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Wir sagen: Kein Schlussstrich unter den NSU-Komplex! Nicht in Jena, nicht in Hamburg, nirgendwo!
Wir erinnern deshalb heute an die Ermordung von Süleyman Taşköprü.

Wir erinnern auch an all die Personen, die durch Rassismus gefährdet sind und denen wirksamer Schutz durch den Staat bis heute verwehrt bleibt.
Wir erinnern daran, dass der NSU-Komplex bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist.
Wir erinnern daran, dass bis heute nicht alle Unterstützer*innen bekannt sind, geschweige denn angeklagt wurden.
Wir erinnern daran, dass der Verfassungsschutz durch das Vernichten relevanter Akten Aufklärung aktiv verhindert und dies bis heute keine Konsequenzen hatte.
Und wir erinnern daran, dass die Akteur*innen aus der rechten Szene, den Ermittlungsbehörden und dem Verfassungsschutz nicht zur Verantwortung gezogen wurden.
Wir erneuern deswegen unsere Forderung:
Der NSU-Komplex muss restlos aufgeklärt werden!
Verantwortliche aus der rechten Szene, dem Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden müssen zur Verantwortung gezogen werden:
Das sind wir den Opfern, ihren Familien und den Betroffenen schuldig.
Heute vor 24 Jahren wurde Süleyman Taşköprü in Hamburg ermordet. Er wurde 31 Jahre alt und hinterließ seine Frau und seine Tochter.
Ich bitte euch um einen Moment der Stille für Süleyman Taşköprü.

Das Kerntrio des NSU kam aus Jena. Die Mörder von Süleyman Taşköprü und mindestens 9 weiteren Menschen haben sich hier kennengelernt. Sie sind hier zur Schule gegangen. Sie haben hier Einrichtungen der Jugendarbeit nutzen und sich nicht zuletzt auf eine Gesellschaft verlassen können, die ihrer rassistischen und rechten Gewalt weitgehend gleichgültig gegenüberstand.
Auch deshalb liegt es in unserer Verantwortung als Menschen dieser Stadt eine Erinnerung und Erinnerungskultur für die Opfer des NSU zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Wir werden nicht vergeben, was geschehen ist, wir werden nicht vergessen.
Wir wollen eine Situation schaffen, in der es unmöglich ist, dass so was nochmal geschieht. Doch leider müssen wir einsehen, dass es bis dahin noch ein weiter Weg sein wird.
Wir laden Euch ein, am Freitag, den 29. August wieder hier um 16 Uhr mit uns gemeinsam zu gedenken. Es ist der 24. Jahrestag des Mords an Habil Kılıç.