Wir sind heute zusammengekommen, um an den Bombenanschlag in der Scheurlstraße, Nürnberg, zu erinnern. Dieser wurde am 23. Juni 1999 durch RechtsterroristInnen des NSU in der Pilsbar „Sonnenschein“ verübt und jährt sich heute zum 26. Mal.
Es ist der 23. Juni 1999, heute vor 26 Jahren. In der Gastwirtschaft „Sonnenschein“ des aus der Türkei stammenden Mehmet O. in Nürnberg explodiert eine Rohrbombe. Diese Rohrbombe wurde von den Rechtsterrorist*innen des Nationalsozialistischen Untergrunds gebaut und dort gezielt platziert.
Der gerade einmal 18 jährige Inhaber hat die Gastwirtschaft vor drei Monaten übernommen. Er findet auf der Herrentoilette eine Taschenlampe. Ahnungslos probiert er, diese anzuschalten und löst dabei die Explosion des Sprengsatzes aus. Der Wirt trägt schwerste Verletzungen davon, überlebt jedoch, da die Bombe fehlerhaft konstruiert wurde und nicht vollständig detoniert ist. Noch Jahre später leidet er, nach eigener Aussage, unter Angstzuständen, ausgelöst durch dieses Attentat.
Es lässt sich vermuten, dass das sogenannte Kerntrio des NSU ortskundige Unterstützer*innen hatte, die die Gastwirtschaft im Vorfeld ausgekundschaftet haben. Das Kerntrio selbst hat sich nicht in Nürnberg ausgekannt. Zudem gab es Hinweise, dass die Gaststätte in der Zeit vor dem Anschlag von Menschen, die nicht dem gewöhnlichen Klientel der Gastwirtschaft entsprachen, besucht wurde. Jene Hinweise wurden jedoch ignoriert. Stattdessen wurden der Wirt und sein Umfeld verdächtigt. Mehmet O. sagte später in einem Interview dazu, Zitat: „Ich war nicht das Opfer, sondern der Schuldige.“
Erst 2013, im Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht, wurde die Tat der Terrorzelle zugeordnet. Ein Zeuge hatte davon berichtet, dass die Neonazis von einer „Taschenlampe“ in einem „Laden“ erzählten und das „Vorhaben“ nicht funktioniert habe. Bis dahin war der Fall der Öffentlichkeit nicht bekannt. Außerdem konnte der damals von der Explosion direkt getroffene Mehmet O. 2013 auf einem Foto eine mutmaßliche Unterstützerin erkennen. Die identifizierte Person, Susanne E., war die Ehefrau eines weiteren angeklagten – und inzwischen verurteilten – NSU-Unterstützers. Ebenso hatte E. eine NSU-Terroristin mithilfe ihrer Ausweisdokumente und Kleidung dabei unterstützt, ihre wahre Identität zu verschleiern und sich Ermittlungen der Polizei zu entziehen. Ebenso besteht die Annahme, dass sie die Bombe in der Nürnberger Gastwirtschaft deponiert hat. Susanne E. Steht aktuell wegen mutmaßlicher Unterstützung des NSU vor dem Oberlandesgericht Dresden.
Der Anschlag, heute vor 26 Jahren in Nürnberg, war eine Art Testversuch für den NSU. Es war das erste Attentat, das dem NSU zugeordnet werden kann. Was darauf folgte, waren weitere Anschläge und Morde an türkisch-, kurdisch- und griechischstämmigen Menschen und einer Polizistin.
Jeder Anschlag und jeder Mord durch den NSU war rassistisch und nationalsozialistisch motiviert; dies wird leider bis heute von vielen Menschen in der Öffentlichkeit ignoriert.
Deshalb stehen wir heute hier und erinnern an die Betroffenen des Bombenanschlags von Nürnberg.
Wir erinnern auch an alle weiteren Menschen, die durch Rassismus gefährdet sind und denen wirksamer Schutz durch den Staat verwehrt bleibt.
Wir erinnern daran, dass der NSU-Komplex bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist.
Wir erinnern daran, dass bis heute nicht alle Unterstützer*innen ermittelt, geschweige denn angeklagt wurden.
Wir erinnern daran, dass der Verfassungsschutz durch das Vernichten relevanter Akten Aufklärung aktiv verhindert und dies bis heute keine Konsequenzen hatte.
Und wir erinnern daran, dass Akteure aus der rechten Szene, den Ermittlungsbehörden und dem Verfassungsschutz nicht zur Verantwortung gezogen wurden.
Wir erneuern deswegen unsere Forderung:
Der NSU-Komplex muss restlos aufgeklärt werden!
Verantwortliche aus der rechten Szene, dem Verfassungsschutz und den Ermittlungsbehörden müssen zur Verantwortung gezogen werden.
Das sind wir den Opfern, ihren Familien und den Betroffenen schuldig.
Ich bitte euch um einen Moment der Stille für die Betroffenen des Bombenanschlags von Nürnberg.
Das sogenannte Kerntrio des NSU kam aus Jena. Die Attentäter des Bombenanschlags in Nürnberg und Mörder von mindestens 10 Menschen haben sich hier kennengelernt, sind hier zur Schule gegangen, haben hier Einrichtungen der Jugendarbeit nutzen und sich nicht zuletzt auf eine Gesellschaft verlassen können, die ihrer rassistischen und rechten Gewalt weitgehend gleichgültig gegenüberstand.
Auch deshalb liegt es in unserer Verantwortung, als Menschen dieser Stadt eine Erinnerung und Erinnerungskultur für die Opfer des NSU zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Wir werden nicht vergeben, was geschehen ist, wir werden nicht vergessen. Wir wollen zu einer Gesellschaft beitragen, in der es unmöglich ist, dass so etwas noch einmal geschieht. Doch leider müssen wir einsehen, dass es bis dahin noch ein weiter Weg sein wird.
Wir laden Euch ein, am kommenden Freitag, dem 27. Juni, wieder hier um 16 Uhr gemeinsam zu gedenken. Es ist der 24. Jahrestag des Mords an Süleyman Taşköprü.