Wir sind heute zusammengekommen um den Betroffenen des Bombenanschlags in der Kölner Probsteigasse am 19.01.2001, heute vor 24 Jahren, zu gedenken.
Kurz vor Weihnachten im Jahr 2000 betritt ein Mann ein Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse, das von einer deutsch-iranischen Familie betrieben wird. Der Mann trägt einen Korb bei sich. In diesem befindet sich eine weihnachtlich gestaltete Stollendose. Der Mann legt einige Waren in den Korb. Dann sagt er, er habe seine Geldbörse vergessen und käme gleich wieder. Den Korb lässt er zurück. Der Mann kommt nicht wieder, also verstaut der Inhaber des Geschäftes den Korb in einem Nebenraum.
Rund vier Wochen später, am 19. Januar 2001, heute vor 23 Jahren, öffnet die damals 19-jährige Tochter des Inhabers die Dose. Sie möchte herauszufinden, was sich daran befindet. Die Dose explodiert. Sämtliche Scheiben zerbersten, die Decke des Nebenraums bricht herunter und Teile der Wände werden abgesprengt. Die junge Frau wird dabei schwer im Gesicht und an einer Hand verletzt. Gutachter*innen kommen später zu dem Ergebnis, dass es nur eine Verkettung glücklicher Umstände in der Anordnung des Raumes gewesen ist, der sie ihr Leben verdankt und durch die keine Passanten auf der Straße verletzt worden.
Dass der Laden von einer deutsch-iranischen Familie betrieben wurde, war auf den ersten Blick nicht erkennbar. Auf dem Ladenschild stand „Lebensmittel Getränkeshop Gerd Simon“. Die neonazistischen Täter wussten, dass er von Migranten*innen geführt wurde. Und sie konnten es nur wissen, weil sie ortskundige Hilfe bei der Planung und Durchführung ihrer Tat hatten.
Damals galten der Polizei ein Racheakt aus dem Rotlicht-Milieu, finanzielle Schwierigkeiten mit einem türkischen Bauunternehmer oder eine mögliche Vergeltung des iranischen Geheimdienstes als mögliche Tatmotive. Im Juni 2001 stellt die Kölner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. Im Januar 2006 lässt sie alle Tatortspuren zerstören. Verjährt war die Tat damals noch nicht. Das wir heute wissen, das die Tat vom NSU verübt worden ist, liegt nur daran, dass die Stollendose 2011
im Bekennervideo der Neonazis auftauchte.
Zwei Drittel des NSU-Kerntrios sind tot und können nicht zur Rechenschaft gezogen werden, eine verbüßt ihre Haftstrafe. Der Fall ist damit aber nicht abgeschlossen. Kurz nach dem Anschlag ist durch die Polizei ein Phantombild erstellt worden, basierend auf den Angaben des Geschäftsinhabers. Dieses Phantombild aber hat keine Ähnlichkeit mit den beiden Männern des NSU-Kerntrios. Nicht auch nur die geringste. Eine frappierende Ähnlichkeit hat das Bild hingegen mit jemand anderem. Aufgefallen ist das ausgerechnet dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Der teilte kurz nach Erstellung des Phantombilds dem polizeilichen Staatsschutz in Köln mit, das Bild ähnele einem Kölner Neonazi und V-Mann. Besagten V-Mann hat das Bundeskriminalamt in seinen Ermittlungen zum NSU nie befragen wollen, ebenso wenig die Generalbundesanwaltschaft und ebenso wenig das Münchener Oberlandesgericht.
Der Anschlag in der Kölner Probsteigasse steht exemplarisch für die mangelhafte Aufklärung des NSU-Komplexes. Es steht der Verdacht der Verwicklung eines V-Manns im Raum. Ebenso soll der Verfassungsschutz Akten dazu vernichtet haben. Die Polizei hat in fragwürdige Richtungen ermittelt und im NSU-Prozess waren Generalbundesanwaltschaft und das Münchener Oberlandesgericht eher bemüht, irgendeinen Abschluss zu erreichen, als die Wahrheit lückenlos zu ermitteln.
Wir wollen an dieser Stelle auch erwähnen, dass in den letzten Jahren viele weitere Hinweise aufgetaucht sind und trotzdem kennen wir bis heute nur einen Bruchteil des Ausmaßes des NSU-Komplex.
Gedenken bedeutet immer auch Erinnern:
Wir erinnern deshalb heute an Betroffenen des Anschlags in der Kölner Probsteigasse, und auch an die weiteren Menschen, die bis heute durch Rassismus gefährdet sind und denen wirksamer Schutz durch den Staat verweigert wird.
Wir erinnern daran, dass bis heute der NSU-Komplex nicht vollständig aufgeklärt ist.
Wir erinnern daran, dass bis heute nicht alle Unterstützer*in bekannt sind, geschweige denn angeklagt wurden.
Wir erinnern daran, dass bis heute das Vernichten der Akten des Verfassungsschutzes keine Konsequenzen hatte.
Und wir erinnern daran, dass bis heute die Akteur*innen aus der rechten Szene, den Ermittlungsbehörden und dem Verfassungsschutz nicht zur Verantwortung gezogen wurden.
Wir erneuern deswegen ein weiteres Mal unsere Forderung:
Der NSU-Komplex muss restlos aufgeklärt werden!
Verantwortliche aus der rechten Szene, dem Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden müssen zur Verantwortung gezogen werden.
Das sind wir den Opfern, ihren Familien und den Betroffenen schuldig.
Ich bitte euch um einen Moment der Stille für die Betroffenen des Bombenanschlags in der Kölner Probsteigasse.
Das sogenannte Kerntrio des NSU kam aus Jena.
Die Attentäter des Bombenanschlags in der Probsteigasse und Mörder von mindestens 10 weiteren Menschen haben sich hier kennengelernt.
Sie sind hier zur Schule gegangen.
Sie haben hier Einrichtungen der Jugendarbeit nutzen können.
Und sich nicht zuletzt auf eine Gesellschaft verlassen können, die ihrer rassistischen und rechten Gewalt weitgehend gleichgültig gegenüberstand.
Auch deshalb liegt es in unserer Verantwortung als Menschen dieser Stadt eine Erinnerung und Erinnerungskultur für die Opfer des NSU zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Wir werden nicht vergeben, was geschehen ist, wir werden nicht vergessen.
Wir wollen eine Situation schaffen, in der es unmöglich ist, dass so was nochmal geschieht. Doch leider müssen wir einsehen, dass es bis dahin noch ein weiter Weg sein wird.
Danke, dass ihr heute mit uns die Betroffenen des Anschlags in der Kölner Probsteigasse gedacht habt.
Wir laden Euch ein, am 25.02.2025 wieder hier um 16 Uhr gemeinsam zu gedenken. Es ist der 21. Jahrestag des Mordes an Mehmet Turgut.
Des Weiteren weisen wir darauf hin, dass sich am 19.02.2025 der Jahrestag vom Anschlag in Hanau zum 5ten mal jährt.
Wir hören jetzt gemeinsam noch ein Lied und danach ist die Gedenkkundgebung beendet.