Wir sind heute zusammengekommen um Abdurrahim Özüdoğru zu gedenken, der am 13.06.2005, heute vor
20 Jahren, durch den NSU in Nürnberg ermordet wurde.
Es ist der 13. Juni 2001, heute vor 24 Jahren. Abdurrahim Özüdoğru hat erst einen Teil seines Arbeitstages hinter sich. Eine Schicht arbeitet er als Maschinist in einer Metallfirma, nach Schichtende verdient er sich mit seiner Näherei noch etwas dazu. Es wird der letzte Tag in seinem Leben sein. Wahrscheinlich gegen 16:30 Uhr betreten Neonaziterroristen des Nationalsozialistischen Untergrundes sein Geschäft. Ein erster Schuss trifft Abdurrahim Özüdoğru von vorne ins Gesicht und durchschlägt seinen Kopf. Er sinkt zu Boden, den Oberkörper gegen eine Tür gelehnt. Der zweite Täter tritt an ihn heran und schießt ihn aus kurzer Entfernung in die rechte Schläfe. Die Mörder fotografieren den sterbenden Abdurrahim Özüdoğru.
Das Foto taucht später in ihrem Bekennervideo auf, versehen mit einer zynischen Hassbotschaft. Gegen 21:25 Uhr wird der Leichnam von Abdurrahim Özüdoğru von einem Passanten entdeckt. Die Polizei ermittelte zunächst, ob Abdurrahim Özüdoğru kriminell gewesen ist. Beamt*innen durchsuchen seine Wohnung mit Drogenspürhunden – sie finden nichts. Denn genauso wie die anderen vom NSU Ermordeten wurde Abdurrahim Özüdoğru aus rassistischen Motiven ermordet.
Nach der Durchsuchung berichtete ein Beamter in einem polizeilichem Vermerk von Zitat „für Wohnungen von Türken nicht unüblichem Nippes“, den er vorgefunden habe. Im Verfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht fielen weiterhin die Polizeibeamt*innen mit abfälligen und herabwürdigenden Äußerungen über Abdurrahim Özüdoğru und seine Lebensführung auf. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits der rassistische Hintergrund des Mordes sowie Teile des unfassbaren Ausmaßes der anderen Verbrechen des NSUs bekannt waren. Der Mord an Abdurrahim Özüdoğru war einer von drei Morden in Nürnberg, dazu kommt ein Bombenattentat. Bayern und insbesondere Franken waren ein Schwerpunkt der Aktivitäten des NSU’. Es gab und gibt dort eine aktive Neonaziszene, in der die Rechtsterrorist*innen mit Sicherheit Helfer*innen und Tippgeber*innen gefunden hatte.
Dieses sogenannte „Kerntrio“ sowie zwei weitere vor dem Münchner Oberlandesgericht verurteilte Helfer bewegten sich bereits 1995 in der Nürnberger Neonazi-Szene. Dort trafen sie führende fränkische Neonazis und diskutierten schon damals über Anschläge. Vieles spricht dafür, dass relevante Teile der damaligen radikalen fränkischen Nazi-Szene dem NSU-Netzwerk angehörten.
Der NSU war nicht zu dritt. Er war kein Trio, er war ein Netzwerk mit vielen Helfer*innen.
Zu viele dieser Helfer*innen bleiben aber bis heute im Dunkeln, weil die Bundesrepublik Deutschland ihrem Versprechen einer lückenlosen Aufklärung des NSU-Komplexes nicht gerecht worden ist. Das Verfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht soll stattdessen eine Art Schlussstrich ziehen unter monströse Verbrechen, mit denen es keinen Abschluss geben kann.
Wir erinnern deshalb heute auch an die weiteren Menschen, die auch heute noch durch Rassismus gefährdet sind und denen wirksamer Schutz durch den Staat verwehrt wird.
Wir erinnern heute an die Ermordung von Abdurrahim Özüdoğru.
Wir erinnern daran, dass der NSU-Komplex bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist.
Wir erinnern daran, dass bis heute nicht alle Unterstützer*innen bekannt sind, geschweige denn angeklagt wurden.
Wir erinnern daran, dass das Vernichten der Akten des Verfassungsschutzes keine Konsequenzen hatte.
Und wir erinnern daran, dass die Akteur*innen aus der rechten Szene, den Ermittlungsbehörden und dem Verfassungsschutz nicht zur Verantwortung gezogen wurden.
Wir erneuern deswegen ein weiteres Mal unsere Forderung:
Der NSU-Komplex muss restlos aufgeklärt werden!
Verantwortliche aus der rechten Szene, dem Verfassungsschutz und den Ermittlungsbehörden müssen zur Verantwortung gezogen werden.
Das sind wir den Opfern, ihren Familien und den Betroffenen schuldig.
Tülin Özüdoğru, die Tochter von Abdurrahim Özüdoğru
hat 2013 im Rahmen einer Preisverleihung davon gesprochen, dass sie in Deutschland geboren ist, dass es ihre Heimat ist, ja sogar, dass sie Deutschland liebt. Aber das Zeichen der Liebe, das sie sich umgekehrt von Deutschland ersehnt, immer noch nicht bekommen hat.
Auch im Rahmen des Prozesses vor dem Münchner Oberlandesgericht hat sich Tülin Özüdoğru geäußert, Zitat, „Als Betroffene habe ich in diesen Punkten bisher leider nicht viel Hoffnung. Ich habe nicht den Eindruck, dass in den letzten drei Jahren seit Aufdeckung der NSU-Zelle irgendetwas wirklich vorangegangen ist. Ich glaube nicht mehr recht an die versprochene Aufklärung aller Hintergründe und Umstände. Man hat die Opfer nicht geschützt. Es wurden schwere Fehler bei den Ermittlungen gemacht, aber ich kann sie bis heute nicht zuordnen. Ich sehe niemanden, der persönlich für diese Fehler geradestehen würde. […] Manchmal frage ich mich: Fehlt die Möglichkeit zur Aufklärung oder der Wille?“
Abdurrahim Özüdoğru kam 1972 aus der Türkei nachDeutschland. Er arbeitete als Metallfacharbeiter.
Zusätzlich baute er zusammen mit seiner Frau eineÄnderungsschneiderei in Nürnberg auf. Er wurde 49 Jahre alt und hinterließ eine Tochter.
Ich bitte euch um einen Moment der Stille für Abdurrahim Özüdoğru.
Das Kerntrio des NSU kam aus Jena. Die Mörder von Abdurrahim Özüdoğru und mindestens 9 weitere Menschen haben sich hier kennengelernt, sind hier zur Schule gegangen, haben hier Einrichtungen der Jugendarbeit nutzen können und sich nicht zuletzt auf eine Gesellschaft verlassen können, die ihrer rassistischen und rechten Gewalt weitgehend gleichgültig gegenüberstand.
Auch deshalb liegt es in unserer Verantwortung als Menschen dieser Stadt eine Erinnerung und Erinnerungskultur für die Opfer des NSU zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Wir werden nicht vergeben, was geschehen ist; wir werden nicht vergessen. Wir wollen eine Situation schaffen, in der es unmöglich ist, dass so etwas nochmal geschieht. Doch leider müssen wir einsehen, dass es bis dahin noch ein weiter Weg sein wird.
Wir laden Euch ein, übermorgen, am Sonntag, dem 15. Juni, wieder hier um 16 Uhr gemeinsam zu gedenken. Es ist der 20. Jahrestag der Ermordung von Theodoros Boulgarides.
Wir hören jetzt gemeinsam noch ein Lied und danach ist das Gedenken beendet.