Kein Vergessen – Kein Vergeben. Zum Gedenken an Michéle Kiesewetter 2020

Jena, 25.04.2020

Redebeitrag der Gruppe „NSU-KOMPLEX AUFLÖSEN JENA“

Wir gedenken heute Michèle Kiesewetter, ermordet vom NSU. Michéle Kiesewetter stammte aus Oberweißbach in Thüringen. Sie wurde am 25. April 2007 in Heilbronn, zusammen mit ihrem Kollegen Martin A., der die Tat schwer verletzt überlebte, überfallen und verstarb mit 22 Jahren. Die Motive für die Tat, die Hintergründe, mögliche Unterstützernetzwerke und die Auswahl der Opfer müssen als völlig unaufgeklärt bezeichnet werden. Es sprechen jedoch mehrere Gründe dagegen, dass Kiesewetter ein Zufallsopfer war.
Auch wenn die Tat, anders als bei den anderen bekannten Morden des NSU nicht rassistisch motiviert war, waren die Ermittlungen gleichermaßen von rassistischen, in diesem Fall spezifisch antiziganistischen Vorurteilen in den Ermittlungsbehörden geprägt. Daran wollen wir heute im Besonderen auch erinnern.

Die Polizei stellte am Tatort des Mordes an Michèle Kiesewetter eine DNA-Spur sicher, die auch an vielen weiteren Tatorten in mehreren Ländern gefunden wurde, über einen Zeitraum von elf Jahren. Daraus leiteten die Ermittler ab, es müsse sich um eine Sinti oder Romni handeln, basierend auf dem Vorurteil, wonach Roma keinen festen Wohnsitz haben und umherziehen. Zudem wurde gesagt, es hätten sich zum Tatzeitpunkt auch einige Roma-Familien in der Nähe des Tatorts an der Theresienwiese aufgehalten. Die Medien sprechen daraufhin von Spuren zu kriminellen „Roma-Clans“ (Zitat). Auch diskriminierende Fremdbezeichnungen werden immer wieder genutzt. Als festgestellt wird, dass die DNA von einer Mitarbeiterin des Wattestäbchenherstellers stammt, ändert dies wohlgemerkt nichts an den an der antiziganistischen Ermittlungsausrichtung der Polizei. Die gesicherte DNA wird weiterhin als „Spur 101/104 Landfahrer“ geführt. Immer wieder wird gegen einzelne Roma ermittelt und einige werden verhört. Ein Psychologe der Polizei sagt über eine vernommene Person, er sei ein »typischer Vertreter seiner Ethnie, wo Lügen zur üblichen Sozialisation gehört«. Wie Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, hervorhebt, wurde mit den Ermittlungen eine ganze Minderheit unter Generalverdacht gestellt. Dieser strukturelle Rassismus in den Ermittlungsbehörden und der medialen Berichterstattung verbindet den Mord an Michèle Kiesewetter mit der rassistischen Mordserie des NSU und ist ein Grund dafür, dass wir vom NSU-Komplex sprechen.

Wir gedenken heute Michéle Kiesewetter, ermordet vom NSU. Und wir erinnern an das Leid, dass vielen weiteren Menschen auch in diesem Fall durch rassistische Ermittlungen zugefügt wurde.

Kein Vergeben, Kein Vergessen!

Inhaltliche Quelle: https://www.nsu-watch.info/2017/10/nsu-und-das-phantom-von-heilbronn-rassistische-ermittlungen-gegen-roma-und-sinti/