Redebeitrag Gedenkkundgebung in Jena rechtsterroristische Anschläge München, Oslo und Utøya – 22. Juli

Liebe Anwesende,
heute stehen wir hier in Jena, um der Opfer zweier schrecklicher rechtsterroristischer Anschläge zu gedenken: dem Massaker von Oslo und Utøya in Norwegen, sowie dem Attentat am Olympia-Einkaufszentrum in München – beide verübt am 22. Juli, im Abstand von genau fünf Jahren, 2011 und 2016. Zwei Orte, zwei Länder – und doch eine gemeinsame Spur: rechter Terror.

Was diese beiden Taten verbindet, ist nicht nur ihr ideologischer Nährboden. Es ist auch die erschreckende Kontinuität rechten Terrors und ihrer Ermöglichungsbedingungen – in Europa, in Deutschland, und hier in Jena.

Denn auch Jena ist Teil dieser Geschichte. Hier lebten und radikalisierten sich die Kernmitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ und Teile ihres Unterstützungsumfeldes. Hier verübten sie erste politische Anschläge, hier begangenen sie Übergriffe auf Menschen, die nicht in ihr Weltbild passten. Von hier tauchten sie unbehelligt in den Untergrund ab und begannen ihren mörderischen Weg. Ein Weg, der zehn Menschen das Leben kostete – aus rassistischen Motiven, geplant im Verborgenen, aber nicht ohne ein Netzwerk, nicht ohne ein Wegsehen von Behörden, nicht ohne ein gesellschaftliches Klima, in dem rechte Gewalt immer wieder verharmlost wurde.
Aus dem NSU-Komplex wissen wir: Der Staat und seine Behörden haben die Gefährlichkeit rechter Ideologie immer wieder verkannt oder geleugnet. Die Gesellschaft hat die Betroffene und Angehörigen der Mordopfer alleine gelassen und sie für ihr Leid selbst verantwortlich gemacht; viele standen den rechten Taten gleichgültig oder gar unterstützend gegenüber. All dies hat das entsetzliche Leid des rechten Terrors für die Betroffenen und in ihren Communities mit ermöglicht oder verstärkt.

Wenn wir heute auf Oslo, Utøya und München blicken, dann dürfen wir nicht vergessen: rechter Terror ist kein Einzelfall. Er ist Teil eines Systems, einer Kontinuität, die nicht mit den NSU-Morden endete. Hanau, Halle, die Ermordung Walter Lübckes – all diese Namen stehen in einer Linie. Und sie stehen für eine klare Botschaft: rechte Ideologie tötet.
Was folgt daraus? Gedenken darf kein Ritual sein. Erinnerung muss unbequem sein. Es muss Fragen stellen: Wer wird gehört – und wer nicht? Wem wird geglaubt? Und wer trägt Verantwortung dafür, dass rechte Täter zu oft als „Einzeltäter“ verharmlost und ihre Opfer vergessen werden?

Wie schon im Vortrag am vergangenen Donnerstag, der als Teil unserer Gedenkreihe die Ideologie hinter dem Anschlag in Norwegen analysierte, fragen wir: Warum ist der schwerste völkisch-nationalistische Terroranschlag in Europa seit 1945 hierzulande weitestgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden, während der „22. Juli“ und „Utøya“ in Norwegen als unmissverständliche Daten für Rechtsterrorismus stehen? Und ferner: Warum wurde der offenkundige Rassismus beim Anschlag in München erst so spät als Tatmotiv anerkannt und bis heute relativ wenig wahrgenommen?

Unsere Aufgabe hier in Jena ist klar: wir müssen die Kontinuität rechten Terrors benennen, und wir müssen ihn bekämpfen – in den Köpfen, auf den Straßen, in den Institutionen.
Wir gedenken heute den Opfern des 22. Juli. Aber unser Gedenken darf nicht still sein. Es muss laut sein – für Gerechtigkeit, für Aufklärung, für eine Gesellschaft, in der rechter Terror keinen Platz hat.
Vielen Dank.